Die erste Busreise in Mexiko geht nach Chichèn Itzá, eine der wichtigsten Maya-Stätten in Yucatán und eines der sieben neuen Weltwunder. Leider soll es auch sehr überlaufen sein, sagt der Lonely Planet, aber ein Weltwunder kann man sich eben nicht entgehen lassen.

Peter und ich wollen uns ein bisschen mehr Zeit gönnen und entscheiden uns gegen eine Tagestour von Tulum aus, die eine Gesamtfahrzeit von fünf Stunden und nur vier Stunden Aufenthalt bedeutet hätte. Die Entscheidung fällt auf ein außerhalb der Stadt (Pistè) liegendes Motel mit zwei(!) Pools und einer Cenote direkt gegenüber.

Wie praktisch, dass wir in Tulum gegenüber der Busstation wohnen und quasi direkt vom Frühstückstisch in den Bus fallen können. Dort sind wir die einzigen mit vollem Gepäck – alle anderen haben nur kleine Rucksäcke dabei. Der Bus fährt über schnurgerade Autopisten, die links und rechts meiner Meinung nach erstaunlich dicht bewachsen sind. Zwischendurch stehen am Wegesrand kleine Hüttchen, die Artesano-Ware feilbieten und alle Autofahrer mit einer Bodenwelle zum Abbremsen zwingen. Unser Busfahrer fährt natürlich unbeirrt weiter. Bei Chichèn Itzá fährt der Bus direkt zum Eingang des Areals, steckt aber erstmal im Stau mit all den anderen Besucherautos fest. Fliegende Händler nutzen die Gelegenheit und versuchen den Fahrern, die nicht flüchten können, Hüte, Wasser und Holzschnitzereien anzudrehen. Ohne Hut droht man offensichtlich sofort tot umzufallen, denn die Verkäufer tragen selbst direkt zehn übereinander. Als wir endlich aus dem Bus steigen, werden wir natürlich auch direkt belagert – „cheap price, cheap price“ – also mindestens ein Hut muss gekauft werden! Wir lächeln uns unseren Weg zu den Taxis und fahren ins Motel.

Weil ich wieder ein bisschen arbeiten muss, verbringen wir den restlichen Tag hauptsächlich am Pool und gehen dann am Nachmittag über die Straße zur Cenote. Umringt von einem schönen Park, der von den Besuchern aber kaum beachtet wird, öffnet sich ein großes Loch. Man schaut 16 Meter an steilen bewachsenen Wänden entlang in die Tiefe und sieht einen kreisrunden Pool, in dem schon ganz viele Schwimmwesten mit Leuten darin nach oben leuchten. Lange Ranken reichen bis zum Wasser und es gibt sogar kleine Wasserfälle, die aus dem Stein emporspringen. Bevor wir uns selbst ganz todesmutig ohne Schwimmwesten ins Wasser wagen, macht Peter noch viele Fotos. Über in den Felsen gehauene Treppen gelangt man dann direkt ans Wasser. Dicht gedrängt am „Beckenrand“ stehen hübsch hergerichtete Mädels, die garantiert nicht ins Wasser gehen werden, und posieren vor den Gewächsen und dem Wasser. Doch immer steht irgendwer im Weg und stört. Schließlich soll es ja danach aussehen, als wäre man exklusiv und ganz alleine dort. Nach unserer persönlichen Fotosession (mit nur ein bisschen Posing) gehen wir auch ins Wasser. Im Vergleich zur schwülen Luft, die da unten herrscht, ist es eiskalt! Wir dümpeln ein bisschen herum, staunen über die Aussicht und Peter springt von einer Plattform. Es wird immer leerer, denn bald ist die Besuchszeit vorbei. Plötzlich gehen die Wasserfälle aus – sie waren gar nicht echt! Das war offenbar das Rausschmeißer-Signal. Wir packen unsere Sachen und gehen.

Der nächste Tag steht ganz im Zeichen der Maya-Kultur. Mit dem kostenlosen Shuttle werden wir vom Hotel zum Eingang gefahren. Es ist noch recht früh. An einer Abzweigung sehen wir, wie eine Karawane von Souvenirverkäufern mit großen Handkarren durch den Dienstboteneingang das Gelände betritt. Die werden sich an sämtlichen Wegen zwischen den einzelnen Bauwerken positionieren und Tücher, Masken, Figuren, Schmuck und diverse Tiere imitierende Instrumente verkaufen.

Chichèn Itzá war wahrscheinlich zwischen 800 und 1200 n. Chr. bewohnt und damals eine regelrechte Großstadt. In der Hochzeit sollen dort ca. 90.000 Menschen gewohnt haben. Zu sehen ist also heute nur ein kleiner Teil der gesamten Stadt und selbst der ist schon enorm groß. Kernstück ist die Pyramide, die die Besucher direkt als erstes Gebäude empfängt. Weil 2006 eine Frau von dort zu Tode gestürzt ist, darf die Pyramide heute nicht mehr betreten werden. Die schiere Größe des Bauwerks ist schon sehr beeindruckend. Die Baukunst der Maya hat einen besonderen Sinn für Akustik inne. Steht man am Fuß der Pyramide und klatscht in die Hände, erzeugt das Echo einen Ton, der wie der Schrei eines Quetzals klingt (etwa 35 cm großer bunter Vogel). Diesem Vogel ist die Pyramide auch geweiht, wie ich im Vorbeigehen von einem der vielen Tourguides höre. Das gleiche akustische Gespür ist auf dem „Sportplatz“ zu entdecken. Es gibt zwei gegenüberliegende Tribünen, die so angeordnet sind, dass ein an der Stirnseite gesprochenes Wort überall gut zu hören ist. Außerdem potenziert sich der Schall, der von den beiden Tribünen ausgeht, sodass eine einzige Person wie mindestens fünf Personen klingt (das demonstriert ebenfalls ein Tourguide).

Neben einer privaten Cenote und weiteren spannenden Gebäuden hat mich ganz besonders die Plataforma de los Cráneos (Plattform der Totenschädel) beeindruckt. Dort erfährt man, dass die Maya nicht so friedfertig waren, wie sie in vielen Klischees dargestellt werden. Auf der Plattform wurden gefangene Feinde zur Abschreckung hingerichtet und ausgestellt und auch die Köpfe von Menschenopfern präsentiert. Entlang der Plattform ist ein endloses Relief mit tausenden von Totenköpfen, bei denen kein Kopf dem anderen gleicht. Menschenopfer wurden übrigens auch gerne in die Cenote geworfen, wie etliche dort gefundene Skelette beweisen.

Wenn man so über das Gelände schlendert und die einzelnen Gebäude bestaunt, wird man von einer lustigen Geräuschkulisse begleitet. Neben dem permanenten Klatschen von Touristen, die die Akustik der Pyramide überprüfen, sind vor allem die Händler zu hören. Entweder rufen Sie den Besuchern hinterher, dass die Holzmasken, die sie verkaufen supergünstig sind und nur heute, nur jetzt einen Dollar kosten, sie übertrumpfen sich gegenseitig, wer schöner auf einer Toneule wie eine solche schuhuen kann, oder fauchen mit Jaguar imitierenden Holzjaguarköpfen um die Wette. Insgesamt ist es sehr trubelig, obwohl heute wohl nicht so viel los ist, wie sonst. Peter und ich nehmen uns viel Zeit, machen häufig Pausen und lassen uns von dem bunten Treiben nicht aus der Ruhe bringen. Naja, ein bisschen anstrengend ist das Gefauche und Gerufe schon. Gegen Nachmittag, als wir schon kurz davor sind, in Richtung Ausgang zu gehen, fällt Peter noch eine niedliche alte Frau auf, die selbstbestickte Taschentücher verkauft. Sie ruft nicht, sie faucht nicht und sie schuhuht nicht. Ich dränge zum Gehen, weil ich echt müde bin und meine Füße platt (und ein bisschen genervt bin ich auch). Aber ihm geht das Mütterchen nicht aus dem Kopf und so drehen wir um und kaufen ihr ein Taschentuch ab. Sie lächelt breit und freut sich sichtlich über den späten Umsatz.

Ich kann es mir dann doch auch nicht verkneifen und bleibe noch an einem Schmuckstand stehen. Eine Handkette gefällt mir sehr, die ich aber lieber als Fußkette tragen würde. Kurzerhand bekomme ich das Angebot, dass sie um einige Glieder erweitert wird – ich schlage zu. In der Zwischenzeit kommen Peter und ich mit dem zweiten Händler am Stand ins Gespräch und fachsimpeln über Schnee. Er geht davon aus, dass in Deutschland, weil ja gerade Winter ist (im März!), der Schnee ungefähr kniehoch liegen muss und zeigt sich schon fast ein wenig enttäuscht, als wir sagen, dass es hauptsächlich kalt ist und meistens nur in den Bergen Schnee liegt. Dafür erzählt er uns, dass es einige Vulkane gibt, bei denen öfter mal Schnee liegt, er aber noch nicht da war. Dann erfahren wir noch, dass er drei Sprachen spricht, Spanisch, Englisch und Maya. Er erklärt uns noch, wie man auf Maya „Danke“ sagt (die Fußkette ist inzwischen fertig und bezahlt), aber schon drei Meter weiter habe ich es leider wieder vergessen. Schade. Aber es herrschte plötzlich eine sehr nette Atmosphäre, als wir uns unterhielten. So habe ich wieder gelernt, dass es zwei Arten gibt, mit so stark touristischen Orten umzugehen. Entweder, man geht durch und ist genervt davon, dass man ständig angesprochen und gestört wird, andauernd so viele Menschen um einen herum sind und im Bild stehen. Oder man lässt sich auf die Situation voll und ganz ein, entschleunigt sich, nimmt sich Zeit und lässt sich auch einmal auf ein Gespräch und einen Kauf ein. Nach dem Gespräch mit dem Händler jedenfalls konnte ich feststellen: Der zweite Weg der weitaus schönere!

Kategorien: Weltreise 2020

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