Die Sonne steht tief hinter uns am Horizont, als wir die letzten Kilometer der staubigen und mit Schlaglöchern gespickten Nebenstraße bis Mahahual hinter uns bringen. Wir parken das Auto, das jetzt auch einen Namen hat (Coronita), an einer Reihe Churros-Stände neben dem Dorfplatz und machen uns zu Fuß auf den Weg, um eine Unterkunft zu suchen. Als die Sara nochmal kurz den Kofferraum aufmacht, saust eine der Coronitaflaschen auf den Asphalt und schäumt uns in hohem Bogen eine Bierfontäne entgegen. Also heißt das Auto jetzt Coronita.
Anschließend laufen wir uns im schummrigen, flackernden Straßenlicht der leergefegten Strandpromenade die Füße nach einer Unterkunft platt. Viele Hotels sehen schon geschlossen aus oder sind ziemlich teuer, und am Ende beschließen wir, statt dem Hostelzimmer ohne Fenster doch nochmal weiter außerhalb was anzuschauen, das wir bei Booking gesehen hatten und finden – die schönste Strandhütte des Dorfs, wo wir mit rauschendem Meer einschlafen und ich vom Bett aus nur den Vorhang etwas zur Seite schieben muss, um den Sonnenaufgang hinter den Palmen zu sehen.
Sofort freunden wir uns auch mit der recht alten Rezeptionistin an, die uns Tipps gibt, wo wir noch Bier kaufen können und die später noch mit Eis und Bechern vorbeikommt, um mit uns bis spät in die Nacht Cola-Rum zu trinken. Maria war schonmal ein Jahr in Deutschland, hat schon in Indien gelebt und war lange in Guatemala. Sie war auch schon im Berghain abtanzen (ich schätze mal sie ist so Mitte 60) und ist insgesamt schon viel rumgekommen. Zum Ende überredet Charlotte unsere (oder besser ihre) neue Freundin noch, unbedingt für uns mexikanisch zu kochen. Mal sehn ob das klappt. Wir finden außerdem heraus, dass seit fünf Tagen wegen der Corona-Krise keine Kreuzfahrtschiffe mehr nach Mahahual kommen. Es wird also angenehm ruhig, und später stellt sich raus, dass auch hier alle übrigen Touristen die Flucht ergriffen haben und sich eine angenehm verschlafene Nebensaison-Stimmung breit macht. Normalerweise wird das zwei-Straßen-Dorf täglich von locker 5000 Kreuzfahrt-Touristen überlaufen (es gibt einen extra Anleger für Schiffe).
Also hängen wir den ersten Tag eigentlich komplett am Strand auf der andern Straßenseite ab, schaukeln in den Hängematten überm Wasser und in den Strandschaukeln und schauen von der Veranda aus den gelangweilten Souvenirverkäufern unten auf der Promenade zu. Mittags mache ich beim Damensport mit, danach müssen wir schnell wieder ins Wasser. Wir essen um halb vier zu Mittag in einem Strandrestaurant, das anschließend die letzten vier Stühle hochstellt und schonmal den Gehweg hochklappt. Der Tag plätschert in einem elegisch-mantrahaften Dreiklang aus dem rauschenden Meer, dem warmen Sommerwind auf der Haut und den sattgrünen, sich im Wind wiegenden Palmen dahin, und die einzige Sorge auf der Welt könnte sein, dass dir vielleicht eine frische Kokosnuss auf den Kopf knallt; gäbe es nicht dieses eine nervige Thema, das immer wieder unablässig aus dem Internet in unsere Gedanken rieselt und in immer neuen Schockwellen unsere Kartenhaus-Pläne umwirft.
Heute bringt uns die Krise komplett geschlossene Grenzen in Neuseeland, und gleichzeitig werden unsere Flüge von LA nach Auckland auf skurrile Weise umgelegt. Damit werden wir wohl definitiv nicht von Neuseeland aus nach Fidschi mitsegeln und planen zähneknirschend um, erst ab Fidschi mitzusegeln. Unser Flug, der eigentlich von LA mit Umstieg in Nadi (Fidschi) nach Auckland geht, wurde um einen Tag verschoben. Aber witzigerweise nur der erste Teil von LA nach Nadi, der zweite Teil von Nadi nach Auckland geht nach wie vor einen Tag früher. Wer denkt sich sowas aus?! Witzigerweise wollen wir jetzt nur noch nach Nadi, ich werde also irgendwie umbuchen, oder den zweiten Teil einfach stornieren. Die Weiterreise wird auch komplett zum Krisen-Lotteriespiel: Wann sollen wir nach Fidschi fliegen? Möglichst früh, bevor da die Grenzen geschlossen werden, oder möglichst spät, falls der ganze Segeltörn doch nicht stattfindet oder wir in Fidschi komplett stranden würden? Weiter nach Westen auf die Philippinen geht’s wohl von Fidschi oder Vanuatu aus momentan sowieso nicht für uns, weil alle Weiterflüge von den Flugrouten her über Australien oder Neuseeland gehen würden und beide Länder ihre Einreisen komplett eingestellt haben. Immerhin haben wir noch bis Mitte/Ende Juni Zeit, bis das notwendig wird. Momentan ist nicht abzusehen, wie die Welt bis dahin aussehen wird, aber wir beschließen, weiterzureisen soweit es eben geht. Wenigstens müssen wir uns über irgendwelche verrückten Auflagen zur Selbst-Isolation in Neuseeland erstmal keine Gedanken mehr machen.
Zurück zur sonnigen Seite des Lebens: nachdem wir uns gestern deprimiert und enttäuscht schon total früh in den Schlaf geweint haben, schaffen wir es heute tatsächlich, früh genug aufzustehen, um uns den großartigen Sonnenaufgang über dem Meer anzuschauen. Wolkenfetzen fliegen über den klaren Himmel, die Strandhunde beschnuppern uns neugierig und das Seegras wird vom Sand gerecht. Die ersten Krebse werden wach und graben ihre Löcher am Strand tiefer. Und wir sind wieder tief versöhnt mit der Welt. Die Charlotte macht sich auf zu ihrem ersten Tauchgang, während Sara und ich erstmal Pancakes frühstücken und Kaffee trinken.
Als die Charlotte zum Diveshop kommt und ihren Tauchgang vorbereitet, fragt die Divemasterin unvermittelt: „After the dive, you go snorkeling with your husband and your daughter, right?“ Damit kann sie erstmal garnichts anfangen, bis klar wird, dass die Frau vom Diveshop uns am Vortag für eine Familie gehalten hat, weil die Sara und Charlotte sich doch so ähnlich sehen würden. Als Charlotte uns das erzählt, bin ich ziemlich fasziniert, wie man in einem Satz gleichzeitig Ohrfeigen und Komplimente verteilen kann. Jedenfalls sind wir jetzt eine Familie.
Dann geht’s zusammen auf zur Schnorcheltour entlang des Hausriffs. Die Korallen sind ganz nett, auch wenn es nur vereinzelte Blöcke im flachen Wasser gibt. Dazu gibt’s ein paar schöne Schwärme Parrot-Fische, einen versteckten Rochen zwischen den Korallen, und eine ziemlich große Languste, die sich aber leider nicht so ganz aus ihrem Versteck traut. Später tauchen noch ein paar riesige Trigger-Fische in kleinen Gruppen auf, aber das Highlight ist eine bestimmt dreiviertel Meter große Schildkröte, die im Seegras frisst. Witzig finde ich auch die Trompeten-Fische, die wie Seenadeln senkrecht im Wasser treiben, als könnten sie nicht so richtig gradeaus schwimmen und einen dabei noch etwas doof anschauen. Die Charlotte beweist uns auch, dass sie sich, trotz Divemaster-Zertifikat, selbst im Meer verlaufen kann: zuerst bleibt wie ewig weit hinter uns und unserem Guide zurück, um dann orientierungslos hinter einer komplett anderen Schnorchelgruppe herzuschwimmen. Nachmittags geht Charlotte noch zum zweiten Tauchgang auf Lionfish-Jagd, aber, wie morgens auch schon, fängt sie nichts und wir kommen nicht zu unserem versprochenen Cerviche. Dazu wird der rohe Lionfish in Limettensaft gegart, was ziemlich lecker schmecken soll.
Abends machen unsere Hotel-Leute noch ein Strandlagerfeuer, bei dem wir uns ziemlich abschießen und unsere letzten Rum-Vorräte vernichten. Wir verbringen eine wunderschöne Nacht am Lagerfeuer unter Palmen und einem klaren, grandios leuchtenden Sternenhimmel. Wir unterhalten uns mit der Hotelmanagerin und lernen einige Locals und Mexikaner aus Mexico City kennen. Fast alle, die noch hier sind, sind Mexikaner (es ist auch grade Wochenende und deshalb etwas mehr los). Außer uns ist wohl nur noch ein holländisches Pärchen da, das die Corona-Downtime unfreiwillig nutzen will, um in unserem Hotel längere Zeit mitzuarbeiten. Wie schon am Diveshop heute Vormittag passiert es uns hier wieder, dass einige der Mexikaner denken, Charlotte und ich wären ein Paar und die Sara wäre unsere Tochter. Gruselig.
Alle Locals raten uns auch davon ab, weiter nach Norden zu reisen, weil Cancun wegen der vielen Touristen und dem Virus viel zu unsicher sei. Wir sollten besser längere Zeit in Mahahual bleiben, weil das ein kleiner Ort ist, wo alles sicher und ruhig ist. Dass bis vor kurzem die Kreuzfahrtschiffe genau dieselben Massen an Touristen aus aller Welt durch das kleine Dorf geschleift haben, die vermutlich alle vorher auch in Cancun waren, scheinen die Leute hier zu ignorieren. Ich denke, für uns ist es einigermaßen sinnlos, sich jetzt irgendwo zu verstecken und sich vor der ganzen Welt zu fürchten, das können wir zu Hause komfortabler erledigen. Ist aber auch keine so ganz einfache Entscheidung, zu bleiben, oder heimzufahren oder weiterzureisen.
Am nächsten Tag sind wir schlapp und verkatert, haben aber außer schwimmen und am Strand liegen nichts weiter vor, als unsere Wäsche waschen zu lassen und essen zu gehen. Es wird wieder ein perfekter Tag unter makellosem Sonnenschein, den wir auf Strandliegen rumlümmeln und uns ausschließlich in Zeitlupe bewegen. Alles ist gut. Abends sitzen wir noch auf der Veranda, ich höre Musik und es gesellt sich von der Straße noch ein viertes Familienmitglied zu uns: wir haben jetzt einen Hund! Der liegt den ganzen Abend friedlich schlafend unter meiner Hängematte und wird nur mal kurz fit, um uns wild kläffend vor dem bösen Müllauto zu beschützen, das unten in der Dunkelheit vorbeifährt.
0 Kommentare